Ulrike Stark (Hg.)

Mauern und Fenster

Neue Erzählungen aus Indien

Die Publikation wurde von Litprom e.V. gefördert

 

Indien einmal anders – jenseits der üblichen Klischees. Zehn Autoren und Autorinnen der modernen Hindiliteratur erzählen von außergewöhnlichen, schwierigen und komischen Begegnungen im Alltag der indischen Mittelklasse, von Lebensphilosophien und Überlebensstrategien skurriler Individuen, von den Sehnsüchten einer globalisierten jungen Generation, aufgewachsen zwischen Bollywood und Fast Food. Sie schildern zugleich das Aufbegehren gegen soziale Ungerechtigkeit und zeigen Menschen, deren Alltagsleben durch den Einbruch von Gewalt unerwartet aus den Fugen gerät. Indien heute.

 

Der Band legt erstmals aktuelle Erzählungen von Yogendra Ahuja, Shashibhushan Dvivedi, Anand Harshul, Jainandan, Uday Prakash, Sara Rai, Anand Sangeet, Alka Saraogi, Shilpi und Neelakhshi Singh in deutscher Übersetzung vor.

"Die elf Erzählungen des Sammelbandes Mauern und Fenster haben allesamt etwas Magisches an sich. Sie schildern das moderne Alltagsleben der indischen Mittelklasse. Religionskonflikte zwischen Muslimen und Hindus, familiäre Generationskonflikte oder die Fremdheit im eigenen Land sind dabei allgegenwärtig."

 

"Mauern und Fenster bilden die stilistische Klammer. Die erste Geschichte des Bandes handelt von den engen Mauern des Heranwachsens. Sara Rai erzählt von der Langeweile in einem alten, verrottenden Haus, in dem die Kindheit an der Ich-Erzählerin vorüberzieht. Die letzte Geschichte trägt den Titel "Das Fenster". Shasibhushan Dvivedi schaut sich die "Traumhaftigkeit der Stadt" durch ein Fenster an. Mauern und Fenster werden zum Anlass, von verdrängten Gefühlen und traurigen Momenten des Heranwachsens zu erzählen, vom Tod und von der Übermacht der Gesellschaft."

 

Rosaly Magg, 2007

2006. 164 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-937603-10-0


Vorwort

 

Auch zu Beginn unseres globalisierten 21. Jahrhunderts beschränkt sich die Begegnung deutscher Leser mit der indischen Gegenwartsliteratur zumeist noch immer auf die indoenglische Literatur. Während indoenglische Schriftsteller internationale Erfolge feiern und nicht mehr aus der Weltliteratur wegzudenken sind, erreicht die moderne Literatur der indischen Regionalsprachen das deutsche Lesepublikum nur vereinzelt. Dass diese reiche, vielfältige und vitale Literatur nur langsam aus ihrem unverdienten Schattendasein tritt, liegt nicht zuletzt an der geringen Zahl deutscher Übersetzungen aus den indischen Originalsprachen. Die im Draupadi Verlag erschienene Reihe ‚Moderne indische Literatur’ zählt zu den wenigen Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Als vierter Band der Reihe bietet Mauern und Fenster dem deutschen Leser Einblicke in die moderne Hindi-Erzählprosa und lädt zu einer spannenden Begegnung mit einem anderen, sich gängigen Klischees entziehenden Indien ein.

 

Hindi, offizielle Amtssprache Indiens und hinsichtlich ihrer Sprecherzahl drittgrößte Weltsprache, besitzt eine äußerst produktive, junge und moderne Literaturszene, über die wir hierzulande nur wenig erfahren. Die sich in jüngster Zeit vollziehende Loslösung von der lange vorherrschenden Doktrin des sozialen Realismus und einer Literaturkritik, die Literatur vorrangig als Instrument zur Besserung der Gesellschaft ansah, erwies sich in vieler Hinsicht als belebend und bereichernd. So präsentiert sich die Hindi-Literatur heute mit neuem Selbstbewusstsein, einer nie da gewesenen Themenvielfalt und einer verstärkten Sensibilität für literarästhetische und sprachliche Prozesse. Wenn man sich auch heute noch dem sozial engagierten Schreiben verpflichtet fühlt, so ist das aktuelle Leitwort literarischen Schaffens nicht mehr Realismus, sondern Authentizität.

 

Authentizität ist für viele Hindi-Autoren gleichbedeutend mit der Darstellung der eigenen Bezugs- und Erfahrungswelt. So befassen sich mehrere der hier vorgelegten Erzählungen mit dem modernen Alltagsleben der indischen Mittelklasse. Sie verleihen Milan Kunderas Wort von der ‚terra incognita des Alltäglichen’ eine neue Bedeutung, indem sie uns stille Gegenentwürfe zu einem Indienbild liefern, das noch immer von Exotisierungstendenzen und den Schreckensmeldungen der Medienwelt geprägt ist. Dies bedeutet keinesfalls, dass die zeitgenössische Hindi-Literatur das Interesse an sozialen Problemen und den aktuellen Konflikten der indischen Gesellschaft verloren hätte: einige der hier ausgewählten Kurzgeschichten greifen dezidiert das Thema gesellschaftlicher Unterdrückung und Gewalt auf. Doch präsentiert sich uns insgesamt ein weitaus weniger spektakuläres Indien, das Fremdes wie Vertrautes, Aktuelles wie Zeitloses, Kulturspezifisches wie allgemein Menschliches in sich birgt.

 

Der vorliegende Band konzentriert sich auf die Hindi-Literatur der letzten zehn Jahre. Er umfasst elf Erzählungen, die von einer Ausnahme abgesehen in den Jahren 1996 bis 2004 erschienen sind. Mit Uday Prakash und der in Kalkutta lebenden Autorin Alka Saraogi sind zwei der bedeutendsten Repräsentanten der zeitgenössischen Hindiliteratur vertreten, von deren Schaffen maßgebliche Impulse ausgingen. In erster Linie jedoch bietet der Band jüngeren, noch weithin unbekannten Autorinnen und Autoren ein Forum. Yogendra Ahuja, Shashibhushan Dvivedi, Anand Harshul, Jainandan, Anand Sangeet und die drei Erzählerinnen Sara Rai, Shilpi und Neelakshi Singh haben in der Hindi-Literaturszene viel Beachtung erfahren, sind aber noch nicht international in Erscheinung getreten. Sie erstmals dem deutschen Leser vorzustellen, war mir ein besonderes Anliegen.

 

Literarische Übersetzung aus einer fremden Kultur heißt immer auch kulturelle Übersetzung. Da sich die hier vorliegenden Übersetzungen in erster Linie an ein allgemeines Publikum literarisch interessierter Leser richten, war unsere Aufgabe, die Originaltexte in ansprechender und verständlicher Form wiederzugeben, ohne sie dabei ihrer spezifischen sprachlichen Eigenschaften zu berauben oder kulturell zu verfremden. Die Übersetzungen folgten dem Prinzip, möglichst wenige Eingriffe in den Hinditexten vorzunehmen und die Erzählungen für sich selbst sprechen zu lassen. Auf ästhetisch unschöne Transliterationen indischer Namen wurde ebenso verzichtet wie auf die Eindeutschung kultur-spezifischer Begriffe und Gegenstände. Notwendige Erklärungen zu indischen Begriffen finden sich im Glossar am Ende des Buchs

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Mein Dank gilt den indischen Autorinnen und Autoren, die spontan und mit großem Enthusiasmus das Copyright für ihre Erzählungen zur Verfügung gestellt haben. Ein besonderer Dank gebührt Vishnu Khare und Uday Prakash, die wichtige Anregungen für die Konzeption des Bandes lieferten und mir bei der Auswahl der Texte beratend zur Seite standen. Dem Team von Übersetzerinnen danke ich für die gute und effiziente Zusammenarbeit über drei Kontinente hinweg, die mich auf weitere gemeinsame Projekte hoffen lässt. Durdana Förster und Birgit Wolf haben durch ihre sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und ihre Verbesserungsvorschläge einen wertvollen Beitrag geleistet. Auch ihnen sei herzlich gedankt. Und schließlich danke ich der „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika“ für den Zuschuss zu dieser Publikation.

 

Ulrike Stark, Chicago, im Juli 2006


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